Dieter Rübsaamen - Werkgruppen 1957 - 2007
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Grenzgänger. Brückenbauer. Rübsaamen
aus dem Katalog "Werkgruppen 1957 – 2007" von Barbara M. Thiemann

Ein Wort, ein Satz, aus Chiffren steigen,
erkanntes Leben jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen,
und alles ballt sich zu ihm hin.
Ein Wort, ein Satz, ein Glanz, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich…
Und wieder dunkel, ungeheuer
im leeren Raum um Welt und ich

Gottfried Benn

Dieter Rübsaamen, Brückenbauer zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Suchender und Wortbildner, Künstler und - als solcher - ein Begleiter in parallele Welten. Als gastfreundlicher, Zuversicht und Lebensfreude ausstrahlender Zeitgenosse führt er, jedenfalls will es uns der erste Blick glauben machen, ein eher bürgerliches Leben als das eines Bohemiens. Er kredenzt Kaffee und Obstkuchen in seinem lauschigen kleinen Garten, gelegen hinter dem Haus in einem übersichtlichen, typisch rheinischen Vorort von Bonn. Vor sieben Jahren habe er sich aus dem Berufsleben verabschiedet, erzählt er und dokumentiert unverzüglich das denkwürdige Ereignis dieses Schrittes in jene wohlbekannte, freiere Welt mit einer Fotografie, die ihn neben einem Berg von Akten zeigt. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, ob dieser Mensch überhaupt jemals Akten gebraucht hat. Er hat der einen Welt adieu gesagt, und er scheint sie nicht zu vermissen, obwohl er das Glück hatte, als Jurist auf dem Kultursektor zu arbeiten. Diese Tätigkeit sicherte seine materielle Existenz, was ihm eine relative Unabhängigkeit garantierte. Als Künstler jedenfalls war er immer frei. Seither verfügt er über deutlich mehr Zeit, um sich auf den Pfaden geistiger Kreativität durch das oft unwegsame Gelände der (vermeintlichen) Wirklichkeit, dem Hier und Jetzt, zu bewegen. Als Intellektueller - was sich durchgehend in seiner Kunst spiegelt, die sich, zumindest in Teilen, als nicht gerade leicht verständlich präsentiert - bezieht er sich fortlaufend auf Literatur und Philosophie. Wie schon in unserem ersten Gespräch einige Wochen zuvor zitiert er Gustave Flaubert, Paul Cézanne, Friedrich Nietzsche, immer wieder Ludwig Wittgenstein und viele andere. Es scheint, als würfe er mit jedem Zitat, mit jedem Gedanken, der ihn überzeugt, einen weiteren jener Anker aus, anhand derer er sich in der Undurchdringlichkeit der Gegenwart verortet. Er positioniert einen prall gefüllten Aktenordner auf dem Kaffeetisch, nicht ohne anzumerken, dass er uns mit selbigem lediglich einen flüchtigen Eindruck dessen verschaffen könne, was ihn bewegt, beschäftigt, animiert. Flugs blättert er durch hunderte von Artikeln zeitgenössischer Philosophen, Literaten, Wissenschaftler. Beeindruckend ist die Breite des Spektrums seiner Interessen und seine Fähigkeit, interdiziplinär zu denken, die Berührungspunkte so unterschiedlicher Gebiete wie Quantenmechanik, Gehirnforschung und Kunst auszumachen, oder gegebenenfalls mutig zu konstruieren. Die Literatur, hier eigener Aussage zu Folge allen voran Heinrich von Kleist, Samuel Beckett, Franz Kafka, Albert Camus, Robert Musil oder Michel Houllebecq, die Beschäftigung mit den Gedankensystemen der Philosophie sowie sein eigenes Kunstschaffen war ihm stets eine innere Notwendigkeit, um in der sachlichen Welt der Juristerei und dem notwendigerweise mit ihr verbundenem Bürokratismus geistig und seelisch zu überleben. Als Jurist war er in der Auslegung des Wortes (Gesetzestexte) Kreateur einerseits, Gefangener (Gesetze) andererseits. Das OEuvre Dieter Rübsaamens bietet keine schnelle Lösung, schon gar nicht vermittels der Wahrnehmung allein. Vielmehr regt es zu fragen an. In seinem Schaffen verbinden sich Schrift und Ziffern mit Farbflächen, Linien mit Objekten, Abstraktion mit Figuration, geschlossene Kompositionen mit offenen Bildrändern, Transparenz mit Dichte. Auf konkrete Fragen nach Hintergründen, Zusammenhängen und Entwicklungen oder gar nach der Anzahl von Einzelarbeiten einer Serie, Datierung oder Technik – sie mögen ihm eng erscheinen - beantwortetet er knapp, um unverzüglich wieder auf die geistigen Werte von Goethe, Heidegger oder Husserl zu rekurrieren. Er geht dabei, für sein Gegenüber oft unbemerkt, über geistige Brücken, wie ein Besucher, der aus dem Jenseits neue, aus konzentrierter Beobachtung geborene Ideen ins Dieseits bringt, um sie alsbald in Kunst zu verwandeln. Rübsaamens Anliegen läßt sich, wie Evelyn Weiss es schon früher formulierte, nicht in wenigen Sätzen entschlüsseln und erklären. Damals wie heute kann es nur darum gehen, Hinweise zu geben, Richtungen anzudeuten, Strukturen zu skizzieren, die den Beschauer in die Lage versetzen, keine fertigen Antworten zu erwarten, sondern die richtigen Fragen an die Kunstwerke zu stellen. Rübsaamens Werk ist allenfalls zu umreißen. Es detailliert vorstellen zu wollen, erweist sich als ein Ding der Unmöglichkeit, mit dem überdies dem Künstler nicht gerecht würde. Sein Denken ist außergewöhnlich vielschichtig, offen, auf Universalität gerichtet. Gedanken reinster Art umkreisen das Verhältnis zwischen wirkendem Geist und Materie: Gefühle und deren Wirkung auch die universaler Ideen auf die Materie wolle er sichtbar machen, sagt Rübsaamen. Materie ist für ihn ein flexibles Element, und das Sichtbare fortwährend in Korrespondenz mit dem Unsichtbaren. Alles Sichtbare ist Ergebnis unsichtbaren Wirkens, und über allem thront, natürlich unsichtbar, das Wort. In gewisser Weise trifft auf des Künstlers Schöpfung zu, was im Johannes Evangelium über die Schöpfung übergeordneter Natur, über die Entstehung der Welt zu lesen ist: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort.“ Seine explizite Bezugnahme auf die Philosophie indiziert den Kern seines Schaffens, in dem das Bild ausdrückt, was über die Sprache, also mit Worten, auszudrücken nicht möglich ist. Aus der Perspektive Rübsaamens ist die Kunst untrennbar mit dem Denken, der Vorstellung und der Sprache verknüpft. Eine Einschätzung, die er mit Joseph Beuys teilt, aber auch mit René Magritte, in gewisser Weise auch mit Cy Twombly und anderen zeitgenössischen Künstlern. Dieter Rübsaamens Weg ging über die Sprache, wie er selbst sagt: „Im Sprechen lernen wir, Begriffe zu bilden, die das Fühlen und das Wollen in die Form bringen. Zuerst ist eine innere Form im Denken und Erkennen zu schaffen, dann folgt die materielle Prägung. Mich interessiert vor allem auch die Thematik ‚jenseits der Sprache‘, die Grenze von Sprache und Denken und Erkenntnismöglichkeiten darüber hinaus - Bereiche, in denen Empfindungen, Gefühle, Gedanken, Unbewußtes und Bewußtes ineinandergreifen.“ Bei Rübsaamen verstärken sich im Zusammenklang von Wort und Bild zwei Ausdrucksmedien wechselseitig. Worte sind für ihn bildnerische Entitäten, die er in schlichte Zeichnungen ebenso wirkungsvoll einbindet wie in dramatische Collagen. Schrift oder Schriftspuren spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle, und zwar sowohl als Inhalt transportierende wie auch als rein ästhetische Zeichen. Nicht weniger wichtig als Schrift und Wort ist die Materie, mit der er arbeitet, die sich hier in Form unterschiedlicher Materialien präsentiert. Der Begriff „Materie“ leitet sich von „mater“ ab, bezeichnet also Muttersubstanz, die „beeindruckt“ wird von Kräften und Geist und so Gestalt annimmt, sich verändert. Diesen gestaltgebenden Kräften ist der Künstler beständig auf der Spur. Der Begriff „Materie“ gewinnt bei ihm einen ursprünglichen Gehalt, was seinem Bestreben, den Dingen auf den Grund zu gehen, entspricht. Er befindet sich im dialogischen Austausch mit Materialien, denen er gleichermaßen verspielt und ernsthaft zur Aussage verhilft. Mit ihnen baut er Brücken zwischen einer unsichtbaren Welt und der sichtbar machenden Kunst, womit er zum Grenzgänger gerät zwischen den Begrenzungen unserer Wahrnehmung und der Erweiterung derselben durch Kunst. Dieter Rübsaamen selbst will vermittels der Kunst, seiner eigenen und der anderer Künstler, zu neuen Erkenntnissen gelangen und idealerweise dem Betrachter zu neuen Erfahrungen über die Beziehung zwischen Geist und Materie verhelfen. Er begreift Erkenntnis als Antwort, und so stellt er die Wirklichkeit der Welt in Frage, indem er mit seinen Werken irritiert. In genau dieser Irritation, die letztlich Perspektiverweiterung bedeutet, liegt eine aller denkbaren (und undenkbaren) Antworten: es gibt keine alleinige und allgemeingültige Wirklichkeit.

In seinem zum Bersten mit Kunstwerken und Arbeitsmaterialien gefüllten Atelier findet die eingangs erwähnte Bürgerlichkeit ihr Gegenstück: das kreative Chaos, in das sich die impulsive Lebendigkeit Rübsaamens nahtlos fügt. Diese Umgebung ist seinem hellwachen, ständig suchenden und fragenden Geiste adäquat, hier wirkt er als künstlerischer Forscher und forschender Künstler absolut authentisch. Er zeigt uns Arbeiten, die zu einer Serie gehören, beantwortet Fragen und präsentiert uns unter anderem einige seiner jüngeren Arbeiten: die CERN-Serie aus der Werkgruppe „Dem Unsichtbaren lauschen“ (S. 29-39), „Auf dem Umweg über Asien“ (S.43) aus der „Werkgruppe Jenseits der Sprache“, die siebenteilige Werkgruppe mit dem rätselhaft anmutenden Titel „Azurene Einsamkeit; in Sils- Maria dachte Nietzsche kosmisch“ (S. 54) von 2005 und „Flußlandschaft - unvorhergesehener Frosteinbruch“ (S. 51) von 2007. Ein Teil jüngerer Arbeiten zeichnet sich aus durch die Verwendung von Röntgenaufnahmen, anhand derer sie im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtig werden, und zwar sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der formalen Ebene. Die Röntgenaufnahmen, Ergebnis des wohl gängigsten aller bildgebenden Verfahren der Medizin, sind hier ästhetischer Kunstgriff und Symbol zugleich. Rübsaamen thematisiert sinnbildhaft die Mehrschichtigkeit der Dinge und den Umstand, dass alles, was wir sehen, auch anders aussehen könnte, weil alles, so Wittgestein, was wir überhaupt beschreiben können, auch anders sein könnte (T.L.P. 5.634). Und so stellt Rübsaamen die Frage, was eigentlich die Wahrheit ist. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Ist Kunst überhaupt das geeignete Mittel, um die Wirklichkeit sichtbar zu machen? Ensteht nicht mit der Kunst eine ganz eigene, eine neue Wirklichkeit? Die Röntgenaufnahmen als sichtbar gemachte Wirklichkeit faszinieren den mit großer Affinität zu den Naturwissenschaften ausgestatteten Künstler zutiefst. Sie durchdringen die Oberfläche, machen Tiefe sichtbar und sind sinnbildhaft zu verstehen: Metaphern für ein Kunstwollen, das sich hinter die Dinge bewegt. Dieter Rübsaamen sucht unablässig und aller Orten nach einem universalen Geist, der hinter allen materiellen Erscheinungsformen gestaltet, verändert und letztlich schöpferisch wirkt. Vor dem Hintergrund des Gesagten überrascht es kaum, dass bei Rübsaamen eine in der Zeit lineare künstlerische Entwicklung kaum stattfindet, jedenfalls nicht in Form einer ablesbaren, kontinuierlichen stilistischen Veränderung. Von Anfang an ist alles da: das Wort, die Schrift, seine speziellen Farbprioritäten, seine Kompositionsweise (zum Beispiel das Aussparen der rechten oberen Ecke in sehr vielen Bildern), die Verwendung des Nummernsystems aus Wittgensteins Gundsatztext Tractatus Logico-Philosphicus (T.L.P.). Und so, wie von Anfang an alles da war, hört nichts einfach irgendwann auf. Dies erklärt formale und inhaltliche Brüche, die offensichtlich werden, wenn etwa neben einer vergleichsweise realitätsnahen, formal fast narrativen Auffassung, wie sie sich in beiden Versionen von „fließend - Namib Dünenlandschaft“ zeigt (tatsächlich geht es hier allerdings um Sand als ein Beispiel für „Komplexe Systeme“ in naturwissenschaftlichem Sinne), nahezu gleichzeitig eine hochdifferenzierte, mit der visuellen Wahrnehmung allein undurchdringliche Serie wie „Azurene Einsamkeit“ entstehen kann. Sie geht zurück auf Sils-Maria, ein Kurzgedicht von Friedrich Nietzsche, das er 1881 im schweizerischen Sils-Maria schrieb: „Hier saß ich, wartend, wartend - doch auf / nichts, / jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts / Genießend, bald des Schattens, ganz nur / Spiel, / Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel. / Da plötzlich, Freundin! wurde Eins zu Zwei - / - und Zarathustra ging an mir vorbei.“ Nietzsche war Zarathustra begegnet, jener Figur, der er wenig später (1882 - 1884/85) seine Stimme gab. Rübsaamens Zyklus besteht aus folgenden Blättern: „Gipfelblick“, „Aufstieg“ (S. 45), „hadernd“, „erschöpft“ (S. 45), „Bereits markiert“, „Spuren im Schweigen“, „Nachhall - da, plötzlich, wurde Eins zu Zwei“ (welches sich explizit auf das Gedicht bezieht). Bezogen auf Rübsaamens Bildfindung ist der Inhalt des Gedichtes zweifellos weniger wichtig als der Umstand, dass Rübsaamen in Nietzsche (wie in allen anderen Philosophen, deren Gedanken ihn faszinieren) einen Seelenverwandten erkennt: jemanden, der ringt und sucht und wühlt und (sprachliche) Bilder kreiert. Natürlich ist das Gedicht an den Bildern nicht konkret nachvollziehhbar: Sie sind nicht als Illustration konzipiert worden. Wer jedoch will, wird den inneren Zusammenhang zwischen Kunst und Philosophie erkennen. Während Nietzsche mit Zarathustra einen Gegenentwurf zur Gegenwart versucht, stellt sich Rübsaamen die Frage nach dem Möglichen, nach jener Wirklichkeit, deren Existenz er in seiner Kunst diskutiert, nicht aber abbildet. Die CERN -Serie mit 9 Einzelarbeiten ist nur ein Teil der Werkgruppe „Dem Unsichtbaren lauschen“, deren Entstehung bis in das Jahr 1992 zurückreicht. 1992 besuchte der Künstler eines der größten naturwissenschaftlichen Laboratorien der Welt: das europäische Laboratorium für Teilchenphysik, gelegen in der Nähe von Genf. Sowohl wissenschaftlich als auch wirtschaftlich beteiligt sind 15 westeuropäische Länder. Er war beeindruckt von dem einmaligen Anlagenkomplex, fotografierte gigantische Apparaturen und ließ sich erklären, wie man hier Atome erforscht, versuchte zu verstehen, nach welchen Gesetzen unsere Welt und das ganze Universum funktioniert. Ganz ähnlich, wie ihn die großen Philosophien berühren, wie er sich gleichsam gespiegelt findet in der Komplexität des Denkens, so findet er sich hier auf einem Terrain wieder, auf dem er sich bestenfalls als interessierter Amateur begreifen wird, als solcher ständig auf der Suche nach inneren Zusammenhängen, nach dem Kleinen im Großen und dem Großen im Kleinen. Und schließlich geht es um Kontrolle. Der Entdecker und Erfinder, der Fantast und gleichzeitig in der Unendlichkeit des Universums Verlorene, sucht Ordnung, Systeme, Regeln, Strukturen, Gesetze angesichts seines eigenen Denkens, das er zuweilen als überwältigendes Ereignis zu empfinden scheint. Ein anschauliches Beispiel seines komplexen Denkens gibt die Collage von 2002 „Letzter Bewegungsraum - weißes Rauschen allenthalben - die Menschheit als Zwischenergebnis“ (S. 27). Der Künstler integriert diverse Kulturleistungen, wie etwa ein Schlafprotokoll, eine DNA-Analyse, einen Auszug aus dem Testament Beethovens oder einen histologischen Schnitt. Was genau hier Verwendung findet, ist weniger bedeutsam als die Bezugnahme an sich auf die Erforschung des Unbewussten oder auf das Genie Beethoven, dessen Tod und - implizit - dessen Musik, die, wie alle Musik, ihrerseits über Berührungspunkte mit Mathematik, Philosophie und bildender Kunst verfügt. Was Rübsaamen sagt, malt oder zeichnet ist von immenser Kraft, und man wird den Eindruck nicht los, als überrolle ihn die Vielfalt der Welt und der Ideen, die eben diese Vielfalt in ihm auslöst.

Anhand seiner künstlerischen Auseinandersetzung gibt er seiner eigenen Existenz Kontur, dem Chaos der Gedanken Struktur und Stabilität: eine Form der Absicherung, die angesichts eines Freigeistes, den Dieter Rübsaamen ja in erster Linie verkörpert, etwas befremdlich anmutet - und doch schon früher ihren Ausdruck fand: im sozusagen weltlichen Beruf dieses Freigeistes. Die Kunst ist einer seiner Anker im bewegten Leben, ganz ähnlich wie die Beschäftigung mit philosophischen Fragen als einer seiner Anker in seinem schier unendlichen Kosmos kreativen Tuns zu apostrophieren ist. Angesichts dieser überbordenden Vielschichtigkeit, die den Werken letztendlich zu Grunde liegt, wird verständlich, dass in Texten über Dieter Rübsaamen nur selten versucht wird, konkret ein Einzelwerk, eine Serie oder eine Werkgruppe zu analysieren. Sein Werk verlangt nach Anderem als einem bildimmanenten Prozedere. Im Prinzip enthält jedes einzelne Werk alle wichtigen Elemente, die für den spezifischen Ausdruck des Künstlers charakteristisch sind. Die Kunst Dieter Rübsaamens ist jederzeit geistgegenwärtig und dadurch jung und frisch. Seine Arbeiten wirken beweglich und kommunikativ, suchen den fragenden Blick des Betrachters und fordern ihn auf, zu forschen und vermeintliche Grenzen zu überschreiten. In Rübsaamens Werken wird die Aufgabe, Gestalter der Welt, Mitgestalter und Erforscher der Evolution zu sein, Wirklichkeit. Kunst versteht er aus seiner weltoffenen Schaffensfreude heraus als eine zweite Schöpfung und formuliert mit ihr die Forderung, die erste Schöpfung zu durchdringen und zu erfahren. Wer sich auf Dieter Rübsaamens Kunstwelt einlässt, gerät zum Wanderer, dem sich in mannigfaltiger Weise Wege offenbaren, wie Weltverständnis mit Weltgestaltung zu verbinden ist. Neue Erfahrungen bieten sich an, letzlich gar Auswege aus dem Dilemma der Gegenwart, in der eine Existenz ohne Gott, die in uns, auf Stofflichkeit und Banalität reduziert, ein Gefühl latenter Verarmung und mit diesem Gefühl Sehnsucht nach Sinn und Hintergrund hervorruft. Eine Aufgabe der Kunst ist es, das Unendliche erlebbar zu machen und, wichtiger noch, hinter unserer Welt zahllose Alternativen aufzuzeigen. Dieter Rübsaamens Parallelwelten erleichtern, erheitern, stimmen uns ernsthaft und wecken Neugier auf jene Dimension, in der sich der Künstler virtuos bewegt, Leichtigkeit erzeugt - differenziert und weise zugleich.

Barbara M. Thiemann

     
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